Missionsobjekt Flüchtling
Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise sind die beiden Großkirchen mit ihren Hilfswerken wie Diakonie oder Caritas ganz vorne mit dabei. Aber auch kleinere Glaubensgruppen und Vereine bieten Unterstützung an. Doch nun wurden Missionierungsversuche in Asylbewerberheimen bekannt. Wo hört reine Hilfe auf und wo fängt Verkündigung an?
Flüchtlinge in Stuttgart: In einer Unterkunft soll es Missionierungsversuche durch Zeugen Jehova gegeben haben (dpa / picture alliance / Marijan Murat)
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Übergangswohnheim Berlin-Marienfelde, einst erste Aufnahmestelle für DDR-Flüchtlinge. Heute wohnen hier rund 700 Asylbewerber in dreigeschossigen Häusern mit viel Grün und Spielflächen dazwischen. In der Regel bleiben sie 9-12 Monate, manche sind sogar schon zwei bis drei Jahre hier. Das Gelände ist abgeschottet. Bewohner, Gäste und Besucher kommen nur an einem Pförtner vorbei. Fremde werden sofort angesprochen. Und das soll auch so bleiben, sagt Leiterin Uta Sternal vom Internationalen Bund, der die Einrichtung betreibt. Werbung jeglicher Art ist auf dem Gelände tabu.
"Hausieren ist hier verboten oder der Verkauf von irgendwelchen Handy-Verträgen oder andere Werbung ist auch verboten, weil wir die Bewohnerinnen und Bewohner eben schützen. Sie kennen sich nicht aus, sie können in der Regel kein Deutsch. Sie kennen oft unsere Abläufe nicht, unsere Gesetze nicht. Was geschieht da? Was wollen die? Und es passiert dann nicht selten, dass sie irgendetwas unterschreiben, ohne zu wissen, worauf sie sich dann einlassen."
Klare Hausordnung und klare Ansage. Dennoch versuchen nicht nur Handlungsreisende, sondern auch religiöse Gruppen immer wieder auf das Gelände des Asylbewerberheimes zu gelangen.
"Wir haben gelegentlich auch Freikirchen, die hier vorsprechen, und sagen, sie möchten sich ehrenamtlich engagieren, und bringen dann auch gleich ihr Informationsmaterial mit, wann die Gottesdienste sind und was sie sonst noch alles bieten. Da sagen wir, ehrenamtliches Engagement gerne, auch Unterstützung bei den Hausaufgaben oder bei Ausflügen oder unsere Sozialarbeiter mit begleiten. Aber: Es ist nicht möglich, irgendwelche Flyer zu verteilen, Gespräche auf den Gottesdienstbesuch zu lenken und Werbung dafür zu machen. Dann sind die nicht mehr gekommen."
Klaren Regeln für Gruppen und Gebetskreise
Als Hausaufgabenhilfe Einlass begehren und dann doch für die eigene Religion werben? Eine heimliche Missionierung schließt Leiterin Uta Sternal aus. Denn bei ehrenamtlichen Hilfsangeboten sei immer eine Sozialarbeiterin im Raum. Zwar sei es selbstverständlich, dass etwa muslimische Flüchtlinge im Lager ihre Gebetsteppiche auslegen dürften. Aber die Bildung fundamentalistischer Gruppen oder Gebetskreise, die andere Bewohner unter Druck setzten, würden nicht toleriert. Agitatoren müssten dann das Übergangswohnheim verlassen. Trotz dieser klaren Regeln lassen sich manche religiöse Gruppen nicht abweisen.
"Zeugen Jehovas waren schon da. Sie wollten eben rein, hatten ihre Informationsschriften in der Hand, sie wollten eben rein und mit Menschen sprechen. In längeren Abständen versuchen sie es dann mal wieder."
Kein Einzelfall. Solche Missionsversuche der Zeugen Jehovas sind in Asylbewerberheimen auch in Baden-Württemberg bekannt geworden. Im Radio möchten sich die Zeugen Jehovas nicht dazu äußern. Im Zweigbüro Zentraleuropa im hessischen Selters können sich die Verantwortlichen lediglich zu einer schriftlichen Stellungnahme durchringen.
Zitat: "Als Träger der freien Wohlfahrtspflege gebührt uns der freie Zugang zu den Asylunterkünften. Neben dieser allgemeinen Hilfe sind wir als Christen allerdings der Ansicht, dass die größte Hilfe, die man einem Menschen geben kann, das Kennenlernen der guten Botschaft der Bibel ist, wie unser Herr Jesus Christus sie gepredigt hat. Sie ist die beste Grundlage dafür, Menschen Trost zu vermitteln, Geborgenheit bei Gott zu finden und damit Probleme und Traumata überwinden zu können."
Und weiter gehen die Zeugen Jehovas davon aus, dass Asylbewerber aus sich heraus den dringenden Wunsch haben, mit ihnen in Kontakt zu treten.
Zitat: "Es ist allerdings nicht so, dass den Flüchtlingen unsere Tätigkeit unbekannt wäre oder sie als besondere Gruppe angesprochen werden. Das Angebot, mit der Bibel vertraut zu werden, haben diese Menschen – bis auf wenige Ausnahmen – in der Regel auch schon in ihren Heimatländern erhalten. Allein die Situation, dass diese Menschen jetzt als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, versetzt sie unseres Erachtens nicht in einen Zustand, dass sie "entmündigt" oder nicht mehr in der Lage wären, eigene Entscheidungen für ihr Leben zu treffen. Es ist bestürzend, wenn Flüchtlinge so behandelt werden, als ob sie zu vorstehend genannten Entscheidungen nicht mehr fähig wären. Wir möchten Flüchtlingen deshalb wie allen anderen Menschen auch die Möglichkeit geben, von ihrer Religionsfreiheit Gebrauch zu machen, zumal sie in ihren Heimatländern womöglich unter Umständen lebten, die ihnen eine freie Wahl der Religion überhaupt nicht möglich machten."
Sie akzeptiere die Religionsfreiheit in Deutschland, sagt Heimleiterin Sternal, doch der freie Zugang zu einem Asylbewerberheim gehöre eben zu Wohle der Bewohner nicht dazu.
"Wenn eine kirchliche Gruppe hier vorspricht, dann verständigt uns der Pförtner. Und wir kommen dann und sprechen mit denen. Wir sagen ihnen eben, dass sie hier nicht rein können, um Menschen zu bekehren, zu missionieren oder einfach hier auf Bewohnerinnen, Bewohner hier zugehen können. Wenn sie Werbung machen möchten, können sie das ja auf öffentlichem Straßenland machen, aber nicht hier, das ist Privatgelände."
Zeugen Jehovas: "Auch die Großkirchen missionieren"
Doch das sehen die Zeugen Jehovas ganz anders. Sie wollen missionieren, denn schließlich würden das die beiden Großkirchen auch tun, wenn Caritas sowie Diakonie Flüchtlinge betreuen. Die Zeugen Jehovas geben zu bedenken:
"Dass auch die Tätigkeit dieser Wohlfahrtsverbände als Bestandteil und Ausdruck kirchlicher Glaubensverkündigung zu sehen ist mit dem grundsätzlichen Ziel, diesen Menschen die Kirche nahezubringen."
Der Flüchtlingspfarrer Bernhard Fricke berät in der Diakoniestelle Potsdam-Babelsberg zahlreiche Asylbewerber, sammelt Spenden, organisiert Hilfe. Dass er und die vielen anderen evangelischen und katholischen Helfer mit ihrer Flüchtlingsarbeit nun Menschen für die eigene Kirche werben würden, hält er für einen geradezu absurden Gedanken.
"Zum einen ist es ja so, dass Flüchtlinge egal welcher Religionszugehörigkeit - und die wird ja auch gar nicht abgefragt - kommen in die Beratungsstellen von Caritas und Diakonie, sie müssten es ja nicht. Aber sie kommen, entweder weil sie wissen, dass es hier um Christinnen und Christen geht, die Beratung machen, oder auch obwohl sie wissen, dass es so ist. Es ist auf jeden Fall zurückzuweisen, dass Caritas und Diakonie hier Mission betreiben."
Marita Lessny betreut in ihrer Kreuzberger Kirchengemeinde ehrenamtlich Flüchtlinge. Für sie ist das eben auch ein Beispiel guter interreligiöser Zusammenarbeit.
"Ich glaub ja nun nicht, dass wir Missionare sind, denn wir arbeiten ganz eng auch mit Imamen zusammen. Wir unterstützen auch die Feierlichkeiten wie zum Beispiel Ramadan. Ich hab jetzt noch nie mitgekriegt, dass gesagt wird, die sollen jetzt mal in eine christliche Kirche kommen oder so. Sie haben ihren Glauben und sie lassen mir meinen Glauben."
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